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Mi 29. Mai 2019 - 20:30 - GEMS

*Das Kapital*

Edward Perraud (Drums), Hasse Poulsen (Gitarre), Daniel Erdmann (TenorSax)

Wann haben Sie zum letzten Mal *La mer* oder *Ne me quitte pas* gehört? Patrick Hernandez' Disco-Knaller *Born To Be Alive* oder *Comme d'habitude*, die französische Vorlage zu Sinatras Ego-Hymne *My Way*? Die erste *Gymnopedie* von Impressionismus-Ikone Satie oder Stücke aus Renaissance und Barock, etwa von Lully? Jedenfalls: so wie hier waren diese "Hits" aus rund 430 Jahren Musikgeschichte noch nie zu erleben.

*Das Kapital*, weithin gefeiert als versiertes Jazztrio mit charakteristischem Ausdruck, transzendiert die höchst unterschiedlichen Vorlagen in seinen eigenen Kosmos. Mit hintersinnigem Witz schneidert die 2002 gegründete pan-europäische Band den Stücken ein hinreissend neues Klanggewand, das ursprüngliche Genrezugehörigkeiten vergessen lässt oder gar absichtsvoll konterkariert.

Auf zwei Alben transferierten Erdmann, Poulsen und Perraud 2009 und 2011 Songs des legendären Komponisten Hanns Eisler ins Jazz-Idiom. Auch bei ihren folgenden Studio-Produktionen, zuletzt Ende 2015 *Kind Of Red* mit durchweg eigenen Kompositionen, liessen die meinungsfreudigen, vielfach preisgekrönten Virtuosen ihre politische Haltung durchschimmern. Das neue Album *Vive la France* (Label Bleu) klingt fokussierter und vollkommener denn je. Inhaltlich erweist *Das Kapital* nun der populären Musik seiner ersten respektive zweiten Heimat Reverenz.

Der aus Nantes stammende Drummer Edward Perraud weiss dank klassischer Schlagwerkausbildung, wie man neben rhythmischen auch klingende Akzente setzt. Das Tenorsaxophon des Berliners - nun schon länger überwiegend in Reims ansässig - Daniel Erdmann fesselt durch sein warmes, tiefgründiges Timbre, eine latente, eruptive Energie und pointiert angerauten Ausdruck. Und der dänische, heute in Paris lebende, Hasse Poulsen spielt filigrane, gezupfte Motive auf der akustischen Gitarre, streicht flirrende Töne mit dem Geigenbogen, entlockt der E-Gitarre harsche Riffs oder greift zur Mandoline.

"Der Titel der Platte ist natürlich ironisch gemeint. Es ist doch total absurd, dass Nationalisten jetzt an vielen Orten wieder stärker werden", sagt Daniel Erdmann. "Manche der Stücke, die wir eingespielt haben, mögen zum nationalen Kulturgut Frankreichs gehören, aber sie sind sicher kein Soundtrack zu Patriotismus." Das Trio kennt keine Tabus, wechselt von melodischen zu abstrakten Passagen, vereint Stilmittel unterschiedlicher Genres. Was aber am wichtigsten ist: alle hören einander zu, gehen auf Ideen der anderen ein. So entsteht eine wunderbare Transparenz und gleichzeitig seltene atmosphärische Dichte.